30. August 2019

Sie greift mit dem FC St. Pauli nach dem Titel – die 13-jährige Thoya Küster (Copyright: Michael Hain/FC St. Pauli)
Thoya Küster ist ein ganz besonderes Mädchen. In anderen Sportarten würde man sie als „Wunderkind“ bezeichnen. Aber Blindenfußballer sind geerdet. Dabei hat die Teenagerin des FC St. Pauli etwas ganz Besonderes vollbracht, denn mit gerademal 13 Jahren debütierte Thoya in der Blindenfußball-Bundesliga – und zeigte bei ihrer Feuertaufe im Duell gegen die Spielgemeinschaft SG Viktoria Berlin/PSV Köln eine achtbare Leistung. „Ich liebe Blindenfußball, weil ich mich nicht auf meine Augen verlassen muss, sondern auf mein Gehör“, berichtet sie. „Ich bin nicht blind, sondern habe eine angeborene Sehschwäche. Ich kann keine Farben erkennen, bin lichtempfindlich und kann nicht gut in die Ferne sehen.“ In der europaweit einzigartigen Spielserie sind neben blinden Menschen auch Aktive mit Sehbehinderungen spielberechtigt. Das geht, weil ohnehin alle Aktiven auf dem Platz eine Augenbinde tragen.
Paulis Trainer Wolf Schmidt ist sehr angetan von Thoya, schätzt ihre außergewöhnliche Technik und die Fähigkeit „auf dem Platz sehr viel zu kommunizieren“. Denn im Blindenfußball ist der Austausch eminent wichtig. Er sieht sie als „Spielmacherin“, die dabei ihre Grenzen sehr wohl einzuschätzen weiß. „Sie hat zuletzt vor den Vorrundenspielen in Stuttgart gegen Schalke und Marburg gesagt, dass sie lieber nicht spielen möchte. Das ist auch in Ordnung, jedenfalls solange wir genug Spieler haben“, sagt der Coach. Schließlich geht es in den Spielen auch schon mal körperlich zur Sache, „da spielt dann jemand mit 45 Kilogramm Körpergewicht gegen jemanden der 120 Kilogramm wiegt“, schmunzelt Schmidt.
St. Paulis Spieler sind alles Eigengewächse
Thoya hat ihre Feuertaufe in der Blindenfußball-Bundesliga mit Bravour bestanden. In der Kika-TV-Sendung „Kann es Johannes?“ war sie Trainerin des Reporters, dessen Augen mit einer Spezialbrille verdunkelt wurden. Er durfte nach einem Kurztraining im Blindenfußball mitspielen und gestand hinterher, wie unglaublich nervenaufreibend es sei, sich blind im freien Raum zu bewegen. Überhaupt den Ball zu treffen, der mit Rasseln im Innern versehen ist, sei ein zirzensisches Kunststück. Der Kika-Moderator empfahl jedem, einen Selbstversuch zu unternehmen.
Für Thoya ist das Spiel auf dem 20 mal 40 Meter großen Kunstrasen längst Normalität. Seit mehr als vier Jahren spielt sie Blindenfußball. Ihre Mutter hatte in Hamburg nach einer sportlichen Aktivität für ihre Tochter gefahndet und war beim FC St. Pauli, dem deutschen Meister von 2017, fündig geworden. Hier hat Thoya das richtige Umfeld und wird durch den erfahrenen Wolf Schmidt gefördert. Wenn sie nicht Fußball spielt, besucht Thoya eine Schule für Sehende. Mit einem Monokular, einem Mini-Fernglas, kann sie die Schrift auf der Tafel erkennen. Mit einem Lesestein wird die Schrift auf dem Papier vergrößert, außerdem hilft ihr das Tablet, auf dem sie ebenfalls die Texte entsprechend vergrößern kann.
Thoya Küster ist eines der Talente aus dem großen Reservoir des FC St. Pauli. „Wir holen keine Spieler von anderen Mannschaften, alle Spieler sind echte Eigengewächse“, berichtet Schmidt stolz. Zum dritten Mal in Folge stehen die Kiez-Kicker im Endspiel der Blindenfußball-Bundesliga. „Wir freuen uns sehr auf das Finale“, betont der Coach und will den Fluch beenden. Zuletzt unterlag der Vorrundenerste immer im Finale.
FC St. Pauli geht als Favorit ins Endspiel
Am Samstag steht das Finalduell zwischen den Mannschaften des FC St. Pauli und der Sportfreunde BG Blista Marburg an. Die Endrunde verspricht Spannung und außergewöhnliche Fußballspiele. Die Hamburger gehen als Favorit in das Endspiel (ab 16 Uhr auf dem Tbilisser Platz in Saarbrücken). Am letzten Vorrundenspieltag entschied der FC St. Pauli durch ein 4:1 die Partie gegen Marburg für sich. „Das war allerdings keine Generalprobe“, betont Schmidt, „es fehlten einige Spieler beim Gegner, wir werden im Endspiel eine andere Marburger Mannschaft erleben. Aber wir sind darauf vorbereitet. Es wird sicher ein sehr spannendes und hochklassiges Finale.“
Die St. Paulianer schlossen die Vorrunde als überlegener Tabellenführer mit 26 Punkten aus zehn Spielen ungeschlagen ab. Marburg belegte sieben Zähler dahinter den zweiten Platz und erkämpfte sich damit die Finalteilnahme.
„Harter Hund mit weichem Herz“
Der Coach der Kiezkicker ist ebenfalls ein ganz besonderer Trainer. Seit 2009 ist er für die Blindenfußballmannschaft verantwortlich und führte sie 2017 zum Titelgewinn. Er selbst bezeichnet sich als „harten Hund mit weichem Herz“. Er verlange eine ganze Menge im Training von seinen Spielern, „aber nur, damit wir immer besser werden“. Er erinnert sich noch an die Anfänge 2007, als die Hamburger eine Spielgemeinschaft mit Dortmund eingehen mussten. „Das war schwierig, wie wird aufgestellt zum Beispiel?“, erinnert er sich. Dann entschied sich St. Pauli, ganz auf eigene Nachwuchsspieler zu setzen. Ein Konzept, das aufging. Die Erfolge sprechen für sich.
Bei Heimspielen der Bundesligamannschaft schlüpft Schmidt in die Rolle des Blindenfußball-Reporters auf dem AFM-Radio. Er kommentiert für die öffentlich-rechtlichen TV-Sender auch Leichtathletik-Großereignisse auf einem Spezialtonkanal für blinde Menschen.
Bekannt ist auch Serdal Celebi, dessen Treffer aus dem letztjährigen Finale gegen den MTV Stuttgart von den Zuschauern der ARD-Sportschau zum „Tor des Monats“ gewählt wurde. Celebi erhielt damit als erster Spieler aus der Blindenfußball-Bundesliga diese sicher von allen Fußballern im Land begehrte Auszeichnung. Celebi ist Deutsch-Türke und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Durch eine Netzhautablösung erblindete er als Teenager vollständig. Der „Torschütze des Monats“ ist einer der Botschafter für den Blindenfußball in Deutschland. Wie auch die erst 13-jährige Thoya Küster.